Schach - OLYMPIADE 2008 

SPECIAL


Schach-Olympiade Dresden
12.11.-25.11.2008

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Olympia Tagebuch
(Karl Heinz Schein, Walter Kastner)
TAG 11

Dresden-Tagebuch 11




Gestern durfte man in der Kongresshalle einen ganz besonderen Gast begrüßen; kein Geringerer als der legendäre Exweltmeister Anatoly Karpov  sorgte vor Beginn der 9. Runde für ein wahres Blitzlichtgewitter. „Ich habe den Schnee aus Moskau mitgebracht!“, meinte er gut gelaunt im Hinblick auf den auch in Dresden erfolgen Wintereinbruch. Ich hatte das Glück, auf der seperaten Bühne für die Spitzenbretter hautnah dabei zu sein, als er im Wettkampf Deutschland gegen Polen den ersten Zug am Brett von Daniel Friedmann ausführte. Ein tolles Erlebnis. Es war für mich sozusagen ein Abschiedsgeschenk, denn ich werde heute Dresden verlassen. Beim bundesweiten  SchachlehrerInnenseminar in Weyregg am Attersee werde ich ab Montag von meinen Eindrücken in Dresden berichten. Ich freue mich schon sehr darauf und grüße von hier ganz besonders die „Weyregger Elitetruppe!“  Unsere  SchachpädagogInnen werde ich mit den glänzenden Partien der rotweißroten Equipe verwöhnen. 



Zurück  zu Anatoly Karpov. Er erzählte in der abendlichen Pressekonferenz sehr interessante Begebenheiten aus seiner Schachkarriere. So erklärte er freimütig, dass er Bobby Fischer mehrmals getroffen habe. Er sei ein sehr netter Mensch gewesen, und dann fügte er schmunzelnd hinzu, - solange man sich mit ihm über Schach unterhalten habe. Auch über Viktor Korchnoj wusste er fesselnd zu erzählen. Man höre und staune, er habe vor zwei Jahren mit ihm gemeinsam in einer Mannschaft gespielt und sei überrascht gewesen, wie teamfähig „Viktor der Schreckliche“  geworden sei. Das sei früher anders gewesen, als er noch in der sowjetischen Auswahl gespielt habe. Im Übrigen drückte er seine Bewunderung für den Kampfgeist des 77-jährigen Veteranen aus. Dass dieser in diesem Alter die Spannung über die volle Spieldisziplin halten könne, sei eine phantastische Leistung.


Schachlegende Anatoly Karpov


Und phantastisch waren auch heute wieder die Leistungen unserer beiden Teams, vor allem aber unserer Spitzenbretter.

Herren Runde 9

Br. 54 AUT  Austria (AUT) Elo - 35 LTU  Lithuania (LTU) Elo 2 : 2
21.1 GM Ragger Markus 2518 - GM Kveinys Aloyzas 2533 1 - 0
21.2 GM Kindermann Stefan 2517 - GM Rozentalis Eduardas 2577 0 - 1
21.3 IM Atlas Valery 2465 - GM Sulskis Sarunas 2572 ½ - ½
21.4 IM Neubauer Martin 2422 - IM Zagorskis Darius 2509 ½ - ½



Bei den Herren erwies sich Markus am 1. Brett wiederum als „Sizilianisch-Killer“. Zoltan Ribli meinte, dass Markus in letzter zeit beinahe 80% seiner Weißpartien gegen Sizilianisch gewinnt. Auch die heutige Partie war da keine Ausnahme. Zuerst einige Bauern gewinnen, dann die Initiative des Gegners neutralisieren und schließlich den Materialvorteil im Endspiel verwerten. So einfach wie es sich hier anhört, so einfach schien es für Markus zu sein, der mit großer Sicherheit den Kurs durch die zahlreichen taktischen Fallstricke fand. Ein Sieg am Spitzenbrett ist in diesen Mannschaftskämpfen auf vier Brettern ungeheuer viel wert.


Österreichs Team (re) gegen Litauen


Nachdem Martin Neubauers Partie remis geendet hatte, lag es an den verbliebenen zwei Spielern, wie der Mannschaftskampf ausgehen würde. Und es hing wahrlich an einem seidenen Faden. Stefan Kindermann wehrte sich mit einem Minusbauern großartig gegen Rosentalis und erhielt zuerst Remischancen und schließlich im Turmendspiel eine klare Remisstellung,  wie Trainer Ribli am Abend im Hotel sofort zeigte.  Leider fand Stefan diese Möglichkeit nicht und verlor.  Danach wurde die Partie von  Valery Atlas sofort remis gegeben und der Wettkampf endete mit einem Unentschieden, das eine kleine Träne im Auge hinterlässt. Um ein Haar hätten wir Litauen besiegt, eine Mannschaft, die am 3. Brett noch einen Top-Großmeister mit 2570 Elopunkten aufweist!


Ribli und Jungwirth sehen Atlas und Kindermann über die Schulter


Einen kleinen Bogen zu Karpov kann man noch schlagen: Morgen spielen die Herren gegen Usbekistan. Dort wird mit Rustam Kasimdzhanov, sofern er aufgestellt wird,  ein (nicht ganz so berühmter, aber immerhin) Eweltmeister am Spitzenbrett Platz nehmen.


Damen Runde 9

Br. 32 MDA  Moldova (MDA) Elo - 36 AUT  Austria (AUT) Elo 2 : 2
16.1 IM Petrenko Svetlana 2285 - IM Moser Eva 2376 0 - 1
16.2 WGM Smokina Karolina 2235 - WFM Kopinits Anna-Christina 2270 1 - 0
16.3 WGM Partac Elena 2168 - WFM Novkovic Julia 2161 ½ - ½
16.4 WIM Bulmaga Irina 2287 - Newrkla Katharina 2071 ½ - ½



Ein ganz ähnliches Szenario bei den Damen. Eva Moser spielt weiterhin in einer phantastischen Form und gewinnt wieder, diesmal mit Schwarz und wiederum höchst überzeugend. Aus 8 Partien gegen starke Gegnerinnen hat sie nun 7 Punkte erzielt und lässt mich sprachlos vor Staunen zurück. Ich kann mir ihren grandiosen Lauf nur so erklären: „Wenns laft, doun laafts!“ 


Moser und Kopinits


Die wahnsinnig komplizierte Partie auf Brett 2 sah leider aus österreichischer Sicht die falsche Siegerin.  Ähnlich wie am Brett 2 des Herrenteams war die Niederlage nicht zwingend. Tina hatte sich eine deutlich bessere Stellung herausgespielt, fand aber in der entscheidenden Phase nicht die stärkste Fortsetzung. Die Partie war aber äußerst sehenswert und für die Zuseher enorm spannend. Die Partien auf Brett 3 und 4 fanden beide einen friedliche Abschluss, und damit ergab sich das genau gleiche Bild wie bei den Männern. Sieg am Spitzenbrett, Niederlage auf Brett 2 und der Rest remis. Ein 2:2 gegen Moldawien ist ein Ergebnis, mit dem man gut leben kann.


Novkovic und Newrkla


Alles wird nun von den kommenden beiden Runden abhängen, die ich wie ihr alle zuhause dann mittels Internetübertragung verfolgen werde. Es geht morgen gegen Italien, das mit Großmeisterin Sedina am Spitzenbrett uns er Team gewaltig fordern wird.

Blicken wir nochmals auf die Stadt Dresden, bevor sie der Winter in ein weißes Kleid hüllen wird. Das berühmteste Bauwerk der Stadt habe ich euch noch vorenthalten:


Ein Blick nach Dresden - Der Zwinger



Das barocke Bauwerk Zwinger entstand im Jahre 1709 zunächst nur als ein von Holzgebäuden umrahmter Festplatz für Turniere und anderer höfischer Spiele des sächsischen Adels als eine Art Amphitheater. Die Bezeichnung Zwinger entstammt der ursprünglichen Lage zwischen äußerer und innerer Festungsmauer. Von 1710 bis 1719 ließ ihn August der Starke durch den Landesbaumeister Matthäus Daniel Pöppelmann in seiner jetzigen Gestalt in Sandstein errichten. Die Pavillons und Galerien auf der Wallseite, welche zuerst entstanden, dienten als Orangerie. Um seinen Adel zu unterhalten, ließ sich Kurfürst Friedrich August I. einiges einfallen. Exotische Pflanzen und gestaltete Rasenflächen boten einen paradiesischen Eindruck. Orangenbäume mit leuchtend runden Früchten verzauberten den Innenhof zu einem wundervollen Anblick. Die Bildhauer, darunter Balthasar Permoser, schufen einzigartige Skulpturen zur Verschönerung der Gebäude. 21 verschiedene, mannshohe Pan-Figuren stützen noch heute die Außenwände der Galerien. Satyrhermen tragen die Last der Portale.



Die von Pöppelmann geplante Erweiterung der Anlage bis ans Elbufer blieb zunächst unausgeführt, der bildhauerische Schmuck unvollendet. 1828 entstand in den Festungsanlagen am Zwingerwall die erste deutsche Gemeinde-Gasanstalt. Diese versorgte 36 Gaslaternen in der Umgebung.

Erst 1847-1854 wurde die offene Elbseite des Zwingers durch die von Gottfried Semper geschaffene „Gemäldegalerie“ geschlossen.

Im Zweiten Weltkrieg wurde der Zwinger durch den Bombenangriff vom 13. Februar 1945 schwer beschädigt. Der Wallpavillon wurde von einer Mine getroffen, woraufhin die angrenzenden Bogengalerien mit zerstört wurden. Das Kronentor und der Glockenspielpavillon brannten vollständig aus. Die Gemäldegalerie wurde nur auf der nördlichen Seite zerstört. Das südwestlich hiervon angrenzende Nymphenbad blieb so erhalten. Bereits 1963 war der Wiederaufbau weitgehend abgeschlossen.

Im Jahr 2002, dem Jahr der "Jahrhundertflut", stieg der Pegel, der in unmittelbarer Nähe zum Zwinger verlaufenden Elbe auf bis zu 9,40 Meter an. Doch nicht nur sie trat über die Ufer, sondern auch die Weißeritz im Westen der Stadt. Dresden wurde aus zwei Richtungen überflutet und der Zwinger lag mitten im Zentrum. Trotz großen Einsatzes von Feuerwehr und Technischem Hilfswerk wurde der Innenhof des Zwingers überflutet. Erst mehrere Tage nach Ende des Hochwassers war der ganze Innenhof wieder leer gepumpt. Es traten beträchtliche Schäden auf.

Bis auf den verloren gegangenen Blick auf die Sophienkirche präsentiert sich der Zwinger heute weitestgehend wieder so wie im Vorkriegszustand.



Der in aller Welt bekannte und wohl der am meisten fotografierte Teil des Zwingers ist das Kronentor.

Das Kronentor zeigt durch die Säulenarchitektur Merkmale des italienischen Hochbarocks und antiker Elemente eine ´harmonische Verschmelzung eines Triumphbogens und eines Torturms´. Über den Säulen des Torweges prangen das königliche Zepter, die gekreuzten Schwerter und über dem Torbogen wieder das sächsische Wappen. Außerdem zeigt das Kronentor noch griechische Helden und Götter z.B. Herkules, Athene noch weitere Wassergottheiten. Auf der Turmspitze tragen vier polnische Adler die Nachbildung der polnischen Königskrone. Das Dach besteht aus vergoldetem Kupfer und zeugt für die sächsische Prachtentfaltung.




Zum Abschluss meiner Berichte aus Dresden  darf ich euch heute noch ein Highlight anbieten: Das Interview, das mir  freundlicherweise gestern Abend Markus Ragger gegeben hat:

Ragger Interview

Frage: Markus, du bist  internationaler Schachgroßmeister, regierender Staatsmeister und vertrittst Österreich hier in Dresden am Spitzenbrett: Eine tolle Karriere, zu der dir alle österreichischen Schachfreunde herzlich gratulieren. Du hast dir mit dem Erlangen des Großmeistertitels bestimmt einen Traum erfüllen können. Aber erzähle einmal, wie hat alles begonnen, wie ist Markus Ragger mit dem Schach in Kontakt gekommen?

Antwort: Das war wirklich sehr interessant. Meine Mutter hat mir auf einem Flohmarkt ein Schachbrett gekauft, da war ich erst zwei oder drei Jahre alt. Natürlich ist das ungewöhnlich, aber irgendwie muss ich meine Mutter auf das Schachspiel aufmerksam gemacht haben. Vielleicht haben meine Augen besonders gestrahlt, als ich das Brett sah!  Damals war ich natürlich noch zu klein um die Regeln zu verstehen, aber ich spielte mit den Figuren so wie es andere Kinder mit Bauklötzen tun. Ich glaube sogar, dieses  Schachspiel gibt es heute noch. Mit ca. 4 Jahren habe ich dann begonnen, bei meinen Großeltern zuzuschauen. Oma und Opa spielten immer gegeneinander. Mit 6 Jahren kam ich schließlich durch meinen Onkel Bruno Stadler zum Schachverein Maria Saal.

Frage: Welchen  Anteil haben eigentlich deine Eltern an deiner schachlichen Karriere?

Antwort: Selbstverständlich einen sehr großen. Sie haben meine Liebe zum Spiel immer gefördert, haben mich immer unterstützt und auch viel Freizeit geopfert, um mich zu Wettkämpfen zu begleiten. Auch haben sie immer mit mir mitgefiebert. Da kann ich eine kleine Geschichte erzählen. Es war 1996, damals war ich 8 Jahre alt und spielte in Menorca die Jugend WM U10. Milan Novkovic war übrigens dort mein Betreuer. Ich habe gut begonnen, 3 aus 6 erzielt und dann habe ich die letzten vier Partien verloren. Das ging mir natürlich sehr nahe und ich begann  bitterlich zu weinen. Als meine Mama dann meinte, wenn ich mir Niederlagen so zu Herzen nehme, dann müsste ich wohl mit dem Schach aufhören, da weinte ich noch viel lauter! Denn diese Drohung war eindeutig schlimmer als die vier Niederlagen hintereinander! Gott sei Dank hat meine Mutter das Ganze nicht wirklich ernst gemeint!

Frage: Wann wurde für dich deutlich, dass du das Zeug zu einem Großmeister besitzt?

Antwort: Geträumt habe ich schon in meinen  Anfängen davon, einmal Großmeister zu werden. Nach der Jugend WM U14 war mir klar, dass der GM-Titel konkret möglich ist. Dort wurde ich Vierter, kämpfte aber bis zur letzten Runde um den WM-Titel mit.

Frage: Markus, Talent allein reicht wahrscheinlich nicht aus, um so stark zu werden; auch du musst an deinem Schach bestimmt hart arbeiten. Welches Training hat dich nach vorne gebracht?

Antwort: Zuerst sicherlich das Eröffnungstraining mit Dusko Pavasovic. Da lernte ich, wie man an Eröffnungen arbeitet, wie man eigene Datenbanken anlegt, die wichtigsten Partien speichert und analysiert. Ich eignete mir eine gewisse Systematik an. Danach profitierte ich sehr von der Zusammenarbeit mit Zoltan Ribli. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis und ich kann unheimlich viel von ihm lernen.

Frage: Hast du ein konkretes Vorbild?

Antwort: Eigentlich nicht, aber die Partien von Kramnik z.B. gefallen mir sehr gut.

Frage: Dass du hier in Dresden so stark spielt, ist einfach phantastisch. Viele Schachfreunde in Österreich sind vielleicht überrascht, wie gut du mit Weltklassespielern mithältst. Kommt das auch für dich selbst überraschend?

Antwort: Dass es so gut läuft, ist natürlich wunderbar. Ich weiß schon, dass ich auch mit Topleuten recht gut mitspielen kann, wenn ich die Eröffnung treffe. Da hat mir der Sieg gegen Movsesian in der Bundesliga vor der Olympiade zusätzlich Selbstvertrauen gegeben.

Frage: Wie gefällt die die Olympiade in Dresden eigentlich? Es ist ja deine erste.

Antwort: Mir persönlich gefällt sehr gut, dass das Schach hier so einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert besitzt.

Frage; Was sind eigentlich deine näheren und ferneren Ziele?

Antwort: Ich möchte mich ständig weiterverbessern,  in naher Zukunft für die EM., dort kann man sich auch für die WM qualifizieren….

Frage: Du bist für viele junge SchachspielerInnen in Österreich ein Vorbild. Ich weiß, dass nicht wenige Schachfreunde ihr Eröffnungsrepertoire nach dir ausrichten und so wie du spielen wollen. Kannst du ihnen einige Tipps geben?

Antwort: Wichtig ist vor allem, dass man selbst am Schach arbeitet. Man muss eigenständig denken. Ein Trainer ist sehr wichtig, aber man muss auch selbst alleine trainieren. Natürlich ist auch der Computer wichtig, er hilft bei Eröffnungsanalysen. Aber man muss auch am Brett ohne Computerhilfe analysieren. Ich treffe mich z.B. manchmal zu Trainingssitzungen in Kärnten, z.B. mit Harald Genser, wo wir Stellungen analysieren.

Lieber Markus, vielen Dank für das Gespräch und alles Gute weiterhin für deine zukünftige Karriere!

Damit verabschiede ich mich von euch allen und bitte, in den beiden Schlussrunden nochmals fest die Daumen für unsere Teams drücken!

Lang lebe der König!




Website of the
Austrian Chess Federation


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