Schach - OLYMPIADE 2008 

SPECIAL


Schach-Olympiade Dresden
12.11.-25.11.2008

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Olympia Tagebuch
(Karl Heinz Schein, Walter Kastner)
TAG 9

Dresden-Tagebuch 09


Das Wetter in Dresden hat umgeschlagen, grau sind Straßen und Häuser und ein nasskalter Schneeregen sorgt für typische Novemberstimmung. Auf dem Weg zum Turniersaal bläst einem ein eisiger Herbstwind ins Gesicht.

Dass auf Sonnenschein eben immer wieder auch trübere Tage folgen, diese Erkenntnis gilt nicht nur fürs Wetter, sondern wir Schachspieler kennen diese Erfahrung auch aus eigenen Erlebnissen nur zu gut - da macht auch unser Olympiateam keine Ausnahme. Es war gestern wahrlich nicht „unser“ Tag und beide Teams mussten schließlich die Überlegenheit ihrer nominell klar stärkeren Gegner akzeptieren. Aber der Reihe nach:


Herren Runde 7

Br. 54 AUT  Austria (AUT) Elo - 28 SLO  Slovenia (SLO) Elo 1 : 3
19.1 GM Ragger Markus 2518 - GM Beliavsky Alexander G 2619 ½ - ½
19.2 IM Atlas Valery 2465 - GM Pavasovic Dusko 2597 0 - 1
19.3 IM Neubauer Martin 2422 - IM Borisek Jure 2548 0 - 1
19.4 IM Baumegger Siegfried 2445 - IM Skoberne Jure 2501 ½ - ½


Es war von vornherein klar, dass wir gegen Slowenien  nur geringe Außenseiterchancen besaßen. Zum einen ist es eine Mannschaft, die auch an Brett 4 noch einen Spieler jenseits der 2500-Elo Grenze auf bieten kann, zum anderen legte gestern Stefan Kindermann einen wohlverdienten Ruhetag ein. Und trotzdem lag das insgeheim angestrebte 2:2 durchaus im Bereich des Möglichen. Nach drei Spielstunden ergab sich nämlich folgende interessante Konstellation: Markus hatte auf Brett 1 seinen bekannten Gegner, GM Beljavski stets sicher unter Kontrolle und erzielte ein ungefährdetes Remis. 


Drei Musketiere kämpfen noch


Valery Atlas auf Brett 2 kämpfte verbissen in einem Springerendspiel mit einem Minusbauern gegen Dusko Pavasovic und es war lange nicht klar, ob der slowenische Spitzenspieler seinen Endspielvorteil verwerten würde. Immerhin hatte Valery stets die Chance, einen sehr gefährlichen entfernten Freibauern zu kreieren. Allerdings spielte der Slowene mit eiserner Präzision (wir erinnern uns: Pavasovic hatte in der Bundesligarunde unmittelbar vor der Olympiade den Weltklassemann Nakamura überzeugend geschlagen) und gewann das Endspiel Lehrbuchreif. Jetzt lag es an unseren Brettern drei und vier, das Score ausgeglichen zu halten. Ein Sieg musste her! Und tatsächlich, die Stellung von Siegi Baumegger gab Anlass zu großen Hoffnungen. Er spielte das Mittelspiel hervorragend, opferte eine Figur gegen einen zentralen Bauernblock und es schien, dass dieser, einem Bulldozer gleich, auf dem Weg zur gegnerischen Grundreihe alles niederwalzen würde. Die Stellung von Martin Neubauer schien zwar etwas unbequemer zu sein, aber unmittelbare Gefahren waren nicht in Sicht und ein Unentschieden war nach Lage der Dinge der wahrscheinlichste Partieausgang. (Kommentierte Partien Neubauer und Baumegger siehe Olympiasplitter.)

Dies hätte ein 2:2 und einen weiteren sensationellen Matchpunkt bedeutet. Doch leider kam es anders, unser Wunschkonzert wurde nicht gespielt! In schwieriger Lage übersah Martin eine taktische Finte, die auf seiner ungedeckten Damenstellung basierte. Danach blieb ihm nur die Aufgabe übrig. Vielleicht hat dieser Umstand Siegi etwas demotiviert, der ja  nun wusste, dass auch ein Sieg die Mannschaftsniederlage nicht mehr verhindern konnte? Jedenfalls ließ er in der Folge den Gewinn aus und sein Gegner entschlüpfte im letztlich entstandenen Turmendspiel mit 2 Minusbauern noch in den Remishafen.

Das 1:3 gegen Slowenien entspricht zwar in etwa der Papierform, keine Frage aber, dass in dieser Begegnung das Spielglück nicht auf unserer Seite war.

Heute geht es bei den Herren gegen Portugal um zwei ganz wichtige Matchpunkte, also bitte fest die Daumen drücken. Milan Novkovic ist gestern Abend übrigens im Teamlager eingetroffen und er erzählte mir heute beim Frühstück, dass unglaublich viele Schachfreunde zuhause die Partien unserer Mannschaften interessiert mitverfolgen.  Auch erhielt ich Emails mit Anfeuerungen und Glückwünschen für unser Team. An dieser Stelle im Namen der Mannschaft vielen Dank dafür und liebe Grüße zurück nach Österreich. Euer Daumendrücken ist selbstverständlich zusätzliche Motivation für jeden einzelnen Spieler, jede einzelne Spielerin!

Und somit wären wir auch schon bei den Damen:


Damen Runde 7

Br. 6 ARM  Armenia (ARM) Elo - 36 AUT  Austria (AUT) Elo 3 : 1
16.1 IM Mkrtchian Lilit 2443 - IM Moser Eva 2376 ½ - ½
16.2 WGM Aginian Nelly 2325 - WFM Kopinits Anna-Christina 2270 1 - 0
16.3 WIM Galojan Lilit 2305 - WFM Novkovic Julia 2161 1 - 0
16.4 WIM Andriasian Siranush 2290 - WIM Mira Helene 2115 ½ - ½




Nach Russland mussten sie gegen Armenien ran, eine kaum leichtere Aufgabe. Allerdings ist unser Team bereits so kompakt, dass wir auch solchen Weltklasseteams gehörigen Widerstand entgegensetzen können. Dies zeigte vor allem wieder unser Brett 1. Eva Moser sah sich am Spitzenbrett wiederum mit Lilith Mkrtchian konfrontiert. Warum wiederum? Die Armenierin war ja die Gegnerin, gegen die Eva vor kurzem bei der Damen-WM in Nalchik /Russland auf etwas unglückliche Weise erst im Blitzentscheid ausgeschieden ist. Die beiden kennen sich also – was die gegenseitigen Stärken und Schwächen betrifft – genauestens! Es  entwickelte sich in der Tat ein heißes Gefecht, das lange Zeit im Zeichen Evas stand. Allerdings ließ sie die Armenierin wieder ins Spiel kommen und musste schlussendlich gar ums Remis bangen. Die Punkteteilung  nach wechselvollem Partieverlauf war schlussendlich ein gerechtes Ergebnis.


Dynamisches Schach unter den Augen des Bundestrainers


Remis hielt auch Helene Mira ihre Partie. Nach dem sie die Eröffnungsphase gut hinter sich gebracht hatte, konnte sie die statische Schwäche ihres Doppelbauern immer mit aktivem Gegenspiel kompensieren. Ihrer Gegnerin gelang es nicht, die weiße Stellung ernsthaft zu gefährden. Helene hatte die Partie sehr aufmerksam gespielt und wurde mit einem schönen halben Punkt belohnt. Super!

Schade, dass Tina Kopinits  im Mittelspiel durch einige ungeduldige Züge eine gute Stellung verdarb und taktisch ausgeknockt wurde. Die schwerblütige Positionspartie von Julia Novkovic war durch zähe, langsam wirkende Figurenmanöver geprägt und man wusste lange Zeit nicht, was in der Stellung eigentlich los war. Erst in der abendlichen  Analyse weihte uns Julia in ihre tiefsinnigen Gedankengänge ein, die sie während der Partie entwickelt hatte. Als die Armenierinnen allerdings ihren Hauptplan auspackte und den Angriff mittels f2-f4 begann, wurde klar, dass dies in der Tat ein ausgesprochen gefährliches Konzept war, dem Schwarz  nicht wirklich etwas entgegenzusetzen hatte.


Armeniens Team in der Brettreihenfolge.








Fazit: Auch bei den Damen eine 1:3 Niederlage gegen das Weltklasseteam aus Armenien. Heute geht es gegen die Türkei. Aufpassen! Eine sehr giftige, junge Mannschaft, emporgespült durch einen wahren Schachboom, der momentan in der Türkei herrscht. Viele hervorragende Trainer arbeiten in der Türkei, das die große Vision hat, in den nächsten Jahren nicht nur das Breitenschach auf solide Fundamente zu stellen, sondern auch mehrere Weltklassespieler hervorzubringen. Adrian Mihalchishin und Mikhail Gurevich sind die bekannteste Trainer, die momentan am Bosporus mithelfen, dieses kühne Vorhaben zu verwirklichen. Es wird also auch heute kein Honiglecken für unser Team, aber am Abend wissen wir mehr.


Heute wartet das junge türkische Damenteam








vorbereitet von Cheftrainer Gurevich

Also bitte, meine Damen, macht es besser als unser Fußballteam, das  vor einigen Tagen gegen die Türkei 2:4 unterging. Revanche ist angesagt -  lang lebe der König!


Im Gespräch mit Zoltan Ribli

Gestern bot sich mir die glückliche Gelegenheit, mit Zoltan Ribli, dem Trainer unseres Herrenteams, ein Gespräch zu führen. Der sehr sympathische Großmeister, der übrigens  hervorragend Deutsch spricht, erklärte sich sofort bereit, einige Fragen zu beantworten und so möchte ich es nicht verabsäumen, den österreichischen Schachfreunden zu Hause das folgende Interview zu liefern:

Frage: Herr Ribli, man braucht Sie dem interessierten österreichischen Schachpublikum nicht mehr vorzustellen, Ihre Erfolge sind hinlänglich bekannt. Sie haben selbst für ihr Land 12 Olympiaden gespielt, waren Olympiasieger, Weltmeisterschaftskandidat und in Ihrer Glanzzeit unter den besten 5 Spielern der Welt. Wie sind Sie als Topspieler dazu gekommen, in Österreich als  Trainer  zu arbeiten?

Antwort: (lacht und korrigiert mich) Ich spiele seit vielen Jahren gar kein ernsthaftes Wettkampfschach mehr! Zumindest habe ich seit langem kein Turnier mehr gespielt, ab und zu spiele ich noch in Mannschaftskämpfen. Aber auch in der deutschen Bundesliga wird es für mich heuer die letzte Saison. Ich kam als Trainer nach Österreich, weil ich hier sehr gute Bedingungen vorfinde. Vor drei Jahren war diesbezüglich das entscheidende Ereignis, Schach wurde offiziell als Sport anerkannt. Als mittels einer Ausschreibung ein Trainer gesucht wurde, habe ich mich beworben. Meine Motivation und zugleich meine Aufgabe sehe ich darin, das Niveau des österreichischen Schachs zu heben. Und ich denke, wir sind seit drei Jahren auf dem richtigen Weg.

Frage: Was halten Sie eigentlich von der Nummer 1 im österreichischen Olympiateam, von Markus Ragger?

Antwort: Er ist seit vielen Jahren, vielleicht seit Josef Klinger, das erste wirklich große Talent in Österreich. Mit Stanec habe ich nicht gearbeitet, ihn kenne ich zu wenig. Unter Talent verstehe ich übrigens jemanden, der das Potential zu einem sehr guten Großmeister besitzt, ein Spieler, der weit mehr als 2500 Elopunkte erreichen kann. Für Markus  war der Zivildienst leider ein großer Nachteil, da er 9 Monate lang nicht genügend Zeit zum Trainieren hatte. (Anmerkung: Markus arbeitete während seiner Zivildienstzeit in einem Heim für Behinderte. Die sehr intensive Arbeit dort nahm einen Großteil seiner zur Verfügung stehenden Zeit in Anspruch.) Seit Juni hat er ihn nun beendet, und das merkt man. Er hat ja schon in Leoben die Staatsmeisterschaft sehr gut gespielt und verdient gewonnen. Markus ist auch  ein sehr fleißiger Spieler, der seine Eröffnungen sehr genau studiert und viel arbeitet und analysiert.

Frage:  Nicht jeder kann ein Ragger werden. Was raten Sie Spielern ganz allgemein, um ihre Spielstärke zu verbessern?

Antwort: Natürlich, in Österreich kann kaum ein Spieler vom Schach leben, vielleicht Markus einmal. Aber wichtig ist für alle Lernenden, dass sie  das lernen, was man lernen kann: Und das sind nun einmal die Eröffnungen und die Endspiele. Man  soll nur korrekte Eröffnungen wählen und darf diese nicht schlampig spielen. Das präzise Eröffnungsspiel führt dazu, dass man immer öfter bekannte Stellungen erreichen wird, was zu besseren Ergebnissen führt. Bis vor wenigen Jahren gab es in Österreich zwei große Probleme. Das Eröffnungsniveau war sehr niedrig und ein zweiter Problempunkt war, dass die Österreicher nur in Österreich spielten. Zumindest der erste Punkt wird langsam besser! Ich würde als gute Schachbücher übrigens die Eröffnungsreihe „According to Kramnik“ empfehlen.

Frage: Geben Sie auch anderen Schachtrainern in Österreich Hilfestellung?

Ich weiß, dass in Vorarlberg Milan Novkovic mit Luca Kessler trainiert und in der Steiermark Gert Schnider  mit Huber. Mit ihnen bin ich in Kontakt, auch mit dem Bundesjugendtrainer Siegfried Baumegger.

Frage: Kommen wir zur Olympiade hier in Dresden. Wo sehen Sie als Trainer des Herrenteams ihre Hauptaufgabe?

Antwort: (lacht) Das wichtigste ist eine gute Platzierung. Ich bin für die Aufstellungen verantwortlich. Das ist besonders am Anfang eine schwierige Sache, weil man die Form der Spieler erst einschätzen muss: Eine gewisse Ausnahme im Team stellt Markus Ragger dar. Er ist die Nummer 1 und kann spielen, wann er will.  Das war auch in meiner Zeit so, als Portisch die Nummer 1 im ungarischen Team war. Ein Spitzenspier am 1. Brett in guter Form ist für eine Mannschaft überaus wichtig, und Markus ist in guter Form! Für die jeweilige Aufstellung mache ich mir Gedanken über Gegner, Form und Farbverteilung.

Frage: Was ist bei der Eröffnungsvorbereitung besonders wichtig?

Antwort: Ich denke, dass ein Spieler zwei Eröffnungen beherrschen sollte. Das erleichtert die Vorbereitung erheblich. Da ich viele Spieler kenne, kann ich auch häufig erraten, was der Gegner spielen wird.

Frage: Können Sie uns zum Abschluss etwas über ihre Eindrücke zur Olympiade sagen?

Antwort: Die Olympiade hier ist perfekt organisiert, wir sind gut untergebracht, das Hotel ist in Ordnung und der Weg zum Spielsaal ist nicht zu weit. Auch das Wetter passt – bisher zumindest. Allerdings sind die Spielbedingungen nicht optimal. Die Halle, so groß sie auch sein mag, ist zu klein, um das gesamte Turnier unterzubringen. Dadurch herrscht ziemliches Gedränge.

Frage: Und was sagen sie zum Abschneiden ihrer Schützlinge bis jetzt?

Antwort: Die Eloperformance, besonders der ersten beiden Bretter, ist hervorragend, da  braucht man sich nur die Zahlen anzusehen. Mich überrascht auch das äußerst starke Spiel von Kindermann bisher. Aber alle Spieler geben ihr bestes und zeigen großen Einsatz.

Herr Ribli, vielen Dank für das Gespräch und noch alles Gute für die letzten vier Runden!


Zoltan Ribli





Website of the
Austrian Chess Federation


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