| Dresden-Tagebuch
                04 Ihr habt gestern sicherlich auch schon mit großer
                Spannung auf den Auftakt der 2. Runde gewartet, vielleicht sogar
                auf den Gong des Hauptschiedsrichters Ignatius Leong. Doch
                nichts von alldem,  die
                Bildschirme der Live-Übertragung blieben finster, keine Figur
                bewegte sich. Was war passiert? So gegen 13.00 Uhr flatterte über
                E-Mail folgende Nachricht in mein elektronisches Postfach:
 
 „Wichtige
                Mitteilung!!
 
 Aufgrund von unvorhersehbaren Verzögerungen bei der Lieferung
                der Namen für die Teamaufstellung hat der Hauptschiedsrichter
                nach einer Konsultation mit dem Organisationskomitee
                entschieden, die heutige Runde auf 16 Uhr zu verschieben.
 Morgen, am 15. November, wird die dritte Runde wie üblich um 15
                Uhr beginnen.
 Jegliche Unannehmlichkeiten bitten wir zu entschuldigen.“
 
 Offensichtlich hatte diese Mitteilung aber nicht alle
                Teams erreicht, denn schon ab 14.30 Uhr begann sich die
                Spielhalle langsam zu füllen und man musste den SpielerInnen
                erklären, dass sie bis zum Beginn der Runde noch ca. 90 Minuten
                Zeit haben. Eine für die weltgrößte Schachveranstaltung wohl
                ziemlich peinliche Verzögerung, die eigentlich nicht passieren
                darf.
 
 Ich habe gestern schon die beiden wichtigsten Neuerungen der 38.
                Schacholympiade kurz kommentiert. Freilich gibt es auch noch
                andere, nicht ganz so heiß diskutierte Neuerungen:
 
 Da wäre einmal die Verkürzung des Turniers auf 11 Runden. Früher
                wurden bei Schacholympiaden 14 Runden gespielt. Eine Ausnahme
                machte Elista 1998, als der dortige Schachpalast wegen der
                Wirtschaftskrise in Russland nicht rechtzeitig fertig wurde und
                das Turnier auf 13 Runden reduziert wurde. Vor zwei Jahren in
                Turin gab es aus Ersparnisgründen auch nur 13 Runden. Der Trend
                hält in Dresden an. Ursache für die nochmalige Reduzierung um
                zwei Spieltage ist wohl die weitere Kostenexplosion bei der
                immens großen Teilnehmerzahl.
 
 Ein anderer Punkt, der in Dresden ebenfalls neu ist, betrifft
                die Anzahl der TeamspielerInnen: Bisher gab es bei den Herren
                vier Aktive und zwei Ersatzspieler, bei den Damen waren es drei
                plus eine. In Dresden gehen in den Damenteams erstmals vier
                Spielerinnen an den Start. Es gibt nur mehr einen Ersatzmann
                bzw. eine Ersatzfrau.
 
 Auch das Wertungssystem wurde umgekrempelt: Früher entschieden
                bei Schacholympiaden alleine die Brettpunkte. Das konnte zu
                Ungerechtigkeiten führen, die wir aus allen möglichen Open
                kennen, die im Schweizer System ablaufen: Wenn ein Team am
                Schluss mit großem Auslosungsglück durch ein 4:0 gegen eine
                nominell viel schwächere Mannschaft schlechte bis durchwachsene
                Ergebnisse kompensierte und damit auf wundersame Weise weit nach
                vorne kam, konnte so das Endergebnis noch ganz schön
                durcheinander geraten.  Damit
                ist Schluss, es zählen in erster Linie die Matchpunkte. Dies
                wurde voriges Jahr zur Team-EM auf Kreta schon praktiziert. Die
                Brettpunkte bleiben jedoch wichtig, sie dienen bei gleicher
                Matchpunktzahl nämlich als Hilfskriterium.
 
 Doch nun zum Spielgeschehen.
 
 Herren Runde 2
 
 
                  
                    | Br. | 54 |  Austria
                      (AUT) | Elo | - | 93 |  Jordan
                      (JOR) | Elo | 2½:1½ |  
                    | 36.1 | GM | Ragger Markus | 2518 | - |  | Samhouri Bilal | 2205 | 1 - 0 |  
                    | 36.2 | GM | Kindermann Stefan | 2517 | - | FM | Rimawi B T | 2221 | 1 - 0 |  
                    | 36.3 | IM | Neubauer Martin | 2422 | - | FM | Mohannad Farhan | 2269 | ½ - ½ |  
                    | 36.4 | IM | Baumegger
                      Siegfried | 2445 | - | FM | Samhouri A | 2378 | 0 - 1 |  
  
 Wir setzen unsere
                rotweißrote Brille auf und erinnern uns: Die Herren traten
                gegen Jordanien an, nominell zwar schwächer als unsere Equipe,
                doch die Zeit der „Jausengegner“ ist im Schach schon lange
                vorbei und dies gilt um so mehr bei einer Olympiade. Zudem
                stellten die Jordanier sehr eigenartig auf, ihren stärksten
                Spieler ließen sie nämlich auf Brett 4 ran! Alles in allem ein
                recht unwägbarer Gegner. Von Cheftrainer Ribli bestens
                eingestellt, ging man hochkonzentriert an die Aufgabe ran. In
                der Tat, unsere beiden großmeisterlichen Spitzenbretter ließen
                nie Zweifel aufkommen, wer Herr im Ring ist und sowohl Markus
                Ragger als auch Stefan Kindermann spielten schöne, attraktive
                Partien und gewannen ohne größere Schwierigkeiten. Die
                Schlusskombination von Stefan Kindermann war dabei besonders
                sehenswert.
 
 
  Stefan Kindermann startet mit 1,5/2 erstmals für Österreich
 
 
 Martin Neubauer legte auch seine zweite Partie äußerst
                solide an, rettete seinen leichten Eröffnungsvorteil über
                weite Strecken bis ins frühe Endspiel hinein. Leider ließ er
                die eine oder andere Chance aus, seiner gutaussehenden Stellung
                noch einen entscheidenden Impuls zu verleihen. 
                Als es darum ging, mit einem Unentschieden die
                Matchpunkte ins Trockene zu bringen, stellte er die
                Gewinnversuche ein und sicherte unserem Team den
                Mannschaftssieg. Etwas unglücklich verlief der Einstand für
                Siegfried Baumegger. Die Eröffnungsphase meisterte er ohne größere
                Probleme, doch ließ er sich in Zeitnot in zweifelhafte
                Verwicklungen ein, die letztendlich seinen Gegner begünstigen. Als ich die Partie von Siegi im Pressezentrum am Monitor
                verfolgte und die Maroczy-ähnliche Struktur begutachtete,
                fielen mir die Worte von Martin Riedner ein, der mir bei der
                Staatsmeisterschaft in Leoben gesagt hatte: „Wenn Siegi eine
                Maroczy-Struktur am Brett hat, dann gewinnt er sie auch!“ Das
                gilt allerdings dann, wenn er die weißen Steine führt, diesmal
                hatte er Schwarz!
 
 
 Damen Runde 2
 
 
 
                  
                    | Br. | 36 |  Austria
                      (AUT) | Elo | - | 68 |  IPCA
                      (IPCA) | Elo | 3½:
                      ½ |  
                    | 24.1 | IM | Moser Eva | 2376 | - | WFM | Melnik Galina | 2062 | 1 - 0 |  
                    | 24.2 | WFM | Kopinits
                      Anna-Christina | 2270 | - | WFM | Zykina Nadezhda | 2108 | 1 - 0 |  
                    | 24.3 | WFM | Novkovic Julia | 2161 | - |  | Jennitha Anto K | 1998 | 1 - 0 |  
                    | 24.4 |  | Newrkla Katharina | 2071 | - |  | Kaydanovich
                      Marina | 1855 | ½ - ½ |  Die Damen hatten mit der Mannschaft des IPCA ein
                recht unangenehmes Los. Es ist dies ein Team, das sich aus körperbehinderten
                Spielerinnen zusammensetzt, die in der Regel elomäßig
                unterbewertet sind. Umso bemerkenswerter die Tatsache, dass wir
                den Wettkampf ohne individuelle Niederlage überstanden, ja mehr
                noch, dass wir nur ein einziges halbes Pünktchen abgaben.
 
 
  Runde 2 wird eröffnet.
 
 
 Der
                Spielverlauf war jedoch umkämpfter, als es das nackte Ergebnis
                vermuten ließ. Eva Moser am Spitzenbrett musste über die volle
                Distanz gehen, ihr großes Kämpferherz war es letztlich, das
                ihr in diesem Endspiel den Punkt brachte.
 
 
  Führte Österreich zum ersten Sieg: Eva Moser
 
 
 Tina Kopinits driftete
                in eine horrende Zeitnot; um ein Haar hätte sie sich noch um
                die Früchte ihrer hervorragenden Arbeit gebracht, doch mit dem
                Glück der Tüchtigen gewann sie die Partie. Ein Traumstart für
                Julia Novkovic: Schon wieder gewonnen und wieder in
                ausgezeichnetem, reifem Positionsstil. Die zweite Glanzpartie,
                der zweite Punkt beim zweiten Einsatz in der Olympiamannschaft.
                Ehemann Milan wird wohl zuhause in Vorarlberg bereits mit einem
                Gläschen auf seine Julia angestoßen haben. Prost! (Liebe Grüße,
                Milan, und weiterhin fest die Daumen drücken…)
 
 Kathi Newrlka hat auch angeschrieben. In einer scharfen Variante
                der sizilianischen Verteidigung wahrte sie geschickt das
                dynamische Gleichgewicht und erzwang eine Zugwiederholung, was
                ihr den ersten halben Olympiapunkt bescherte.
 
 Fazit: Siege sowohl bei den Damen als auch bei den Herren
                bringen kostbare Mannschaftspunkte. Die kuriose Auslosung für
                heute Nachmittag: Beide Teams spielen gegen Sri Lanka. Zwar darf
                man keinen Gegner unterschätzen, doch es ist nicht vermessen zu
                sagen, dass ich hoffe, euch morgen von weiteren Siegen unserer
                Equipe berichten zu können-
 
 
 Internationale Highlights
 
 Blicken wir von den Partien der Österreicher hinaus zu anderen
                heißen Begegnungen am Schachbrett. Carlsen musste gegen Georg
                Meier ran und kam über ein Remis nicht hinaus. Die Nummer 1 des
                deutschen B-Teams hatte ja in der Auftaktrunde mit einem Sieg
                gegen Cheparinov für eine Überraschung gesorgt und sich in 
                der abendlichen Pressekonferenz recht erfreut darüber
                gezeigt, „dass sie Bulgarien bestrafen konnten, weil diese
                Topalov in vermeintlicher Unterschätzung zurückbehalten hätten.“
 
 Der Kampf der beiden „unbekannteren“ Weltmeister versprach
                auch Spannung: Hier regierender Blitzweltmeister  Dominguez
                aus Kuba, dort EX-K.O. Weltmeister Kasimdzhanov aus Usbekistan.
                Überraschend, wie einfach der Usbeke in einer Drachenvariante
                seine scheinbar gefährdete Stellung absicherte und remis
                forcierte. Zum ersten Mal stiegen Wladimir Kramnik, Peter Leko
                und  Nigel Short in
                den Ring. Während der Short einen schönen Sieg gegen den
                starken Dänen Nielsen einfuhr 
                und Leko gegen Miezis gewann, musste sich Kramnik gegen
                den Polen Kamil Miton nach langem Kampf mit Einem Remis begnügen.
                Bei Bulgarien kommt Topalov weiterhin nicht zum Einsatz
                kommt. Schauen wir einmal, ob er sich heute gegen Nicaragua
                (Nummer 102 der Setzliste) ans Brett setzt.
 
 Also, ich sage mal aller Voraussicht nach um 15.00 Uhr Computer
                einschalten, Chips herrichten und Daumen drücken bei Österreich
                gegen Sri Lanka!
 
 „Lang lebe unser König!“
 
 
 Fotogalerien und kommentierte Partien siehe:
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                (Übersichtsseite)
 
 
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