Schach - OLYMPIADE 2008 

SPECIAL


Schach-Olympiade Dresden
12.11.-25.11.2008

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Olympia Tagebuch
(Karl Heinz Schein, Walter Kastner)
TAG 4

Dresden-Tagebuch 04


Ihr habt gestern sicherlich auch schon mit großer Spannung auf den Auftakt der 2. Runde gewartet, vielleicht sogar auf den Gong des Hauptschiedsrichters Ignatius Leong. Doch nichts von alldem,  die Bildschirme der Live-Übertragung blieben finster, keine Figur bewegte sich. Was war passiert? So gegen 13.00 Uhr flatterte über E-Mail folgende Nachricht in mein elektronisches Postfach:

„Wichtige Mitteilung!!

Aufgrund von unvorhersehbaren Verzögerungen bei der Lieferung der Namen für die Teamaufstellung hat der Hauptschiedsrichter nach einer Konsultation mit dem Organisationskomitee entschieden, die heutige Runde auf 16 Uhr zu verschieben.
Morgen, am 15. November, wird die dritte Runde wie üblich um 15 Uhr beginnen.
Jegliche Unannehmlichkeiten bitten wir zu entschuldigen.“

Offensichtlich hatte diese Mitteilung aber nicht alle Teams erreicht, denn schon ab 14.30 Uhr begann sich die Spielhalle langsam zu füllen und man musste den SpielerInnen erklären, dass sie bis zum Beginn der Runde noch ca. 90 Minuten Zeit haben. Eine für die weltgrößte Schachveranstaltung wohl ziemlich peinliche Verzögerung, die eigentlich nicht passieren darf.

Ich habe gestern schon die beiden wichtigsten Neuerungen der 38. Schacholympiade kurz kommentiert. Freilich gibt es auch noch andere, nicht ganz so heiß diskutierte Neuerungen:

Da wäre einmal die Verkürzung des Turniers auf 11 Runden. Früher wurden bei Schacholympiaden 14 Runden gespielt. Eine Ausnahme machte Elista 1998, als der dortige Schachpalast wegen der Wirtschaftskrise in Russland nicht rechtzeitig fertig wurde und das Turnier auf 13 Runden reduziert wurde. Vor zwei Jahren in Turin gab es aus Ersparnisgründen auch nur 13 Runden. Der Trend hält in Dresden an. Ursache für die nochmalige Reduzierung um zwei Spieltage ist wohl die weitere Kostenexplosion bei der immens großen Teilnehmerzahl.

Ein anderer Punkt, der in Dresden ebenfalls neu ist, betrifft die Anzahl der TeamspielerInnen: Bisher gab es bei den Herren vier Aktive und zwei Ersatzspieler, bei den Damen waren es drei plus eine. In Dresden gehen in den Damenteams erstmals vier Spielerinnen an den Start. Es gibt nur mehr einen Ersatzmann bzw. eine Ersatzfrau.

Auch das Wertungssystem wurde umgekrempelt: Früher entschieden bei Schacholympiaden alleine die Brettpunkte. Das konnte zu Ungerechtigkeiten führen, die wir aus allen möglichen Open kennen, die im Schweizer System ablaufen: Wenn ein Team am Schluss mit großem Auslosungsglück durch ein 4:0 gegen eine nominell viel schwächere Mannschaft schlechte bis durchwachsene Ergebnisse kompensierte und damit auf wundersame Weise weit nach vorne kam, konnte so das Endergebnis noch ganz schön durcheinander geraten.  Damit ist Schluss, es zählen in erster Linie die Matchpunkte. Dies wurde voriges Jahr zur Team-EM auf Kreta schon praktiziert. Die Brettpunkte bleiben jedoch wichtig, sie dienen bei gleicher Matchpunktzahl nämlich als Hilfskriterium.

Doch nun zum Spielgeschehen.

Herren Runde 2
Br. 54 AUT  Austria (AUT) Elo - 93 JOR  Jordan (JOR) Elo 2½:1½
36.1 GM Ragger Markus 2518 - Samhouri Bilal 2205 1 - 0
36.2 GM Kindermann Stefan 2517 - FM Rimawi B T 2221 1 - 0
36.3 IM Neubauer Martin 2422 - FM Mohannad Farhan 2269 ½ - ½
36.4 IM Baumegger Siegfried 2445 - FM Samhouri A 2378 0 - 1




Wir setzen unsere rotweißrote Brille auf und erinnern uns: Die Herren traten gegen Jordanien an, nominell zwar schwächer als unsere Equipe, doch die Zeit der „Jausengegner“ ist im Schach schon lange vorbei und dies gilt um so mehr bei einer Olympiade. Zudem stellten die Jordanier sehr eigenartig auf, ihren stärksten Spieler ließen sie nämlich auf Brett 4 ran! Alles in allem ein recht unwägbarer Gegner. Von Cheftrainer Ribli bestens eingestellt, ging man hochkonzentriert an die Aufgabe ran. In der Tat, unsere beiden großmeisterlichen Spitzenbretter ließen nie Zweifel aufkommen, wer Herr im Ring ist und sowohl Markus Ragger als auch Stefan Kindermann spielten schöne, attraktive Partien und gewannen ohne größere Schwierigkeiten. Die Schlusskombination von Stefan Kindermann war dabei besonders sehenswert. 


Stefan Kindermann startet mit 1,5/2 erstmals für Österreich


Martin Neubauer legte auch seine zweite Partie äußerst solide an, rettete seinen leichten Eröffnungsvorteil über weite Strecken bis ins frühe Endspiel hinein. Leider ließ er die eine oder andere Chance aus, seiner gutaussehenden Stellung noch einen entscheidenden Impuls zu verleihen.  Als es darum ging, mit einem Unentschieden die Matchpunkte ins Trockene zu bringen, stellte er die Gewinnversuche ein und sicherte unserem Team den Mannschaftssieg. Etwas unglücklich verlief der Einstand für Siegfried Baumegger. Die Eröffnungsphase meisterte er ohne größere Probleme, doch ließ er sich in Zeitnot in zweifelhafte Verwicklungen ein, die letztendlich seinen Gegner begünstigen. Als ich die Partie von Siegi im Pressezentrum am Monitor verfolgte und die Maroczy-ähnliche Struktur begutachtete, fielen mir die Worte von Martin Riedner ein, der mir bei der Staatsmeisterschaft in Leoben gesagt hatte: „Wenn Siegi eine Maroczy-Struktur am Brett hat, dann gewinnt er sie auch!“ Das gilt allerdings dann, wenn er die weißen Steine führt, diesmal hatte er Schwarz!


Damen Runde 2

Br. 36 AUT  Austria (AUT) Elo - 68 IPC  IPCA (IPCA) Elo 3½: ½
24.1 IM Moser Eva 2376 - WFM Melnik Galina 2062 1 - 0
24.2 WFM Kopinits Anna-Christina 2270 - WFM Zykina Nadezhda 2108 1 - 0
24.3 WFM Novkovic Julia 2161 - Jennitha Anto K 1998 1 - 0
24.4 Newrkla Katharina 2071 - Kaydanovich Marina 1855 ½ - ½


Die Damen hatten mit der Mannschaft des IPCA ein recht unangenehmes Los. Es ist dies ein Team, das sich aus körperbehinderten Spielerinnen zusammensetzt, die in der Regel elomäßig unterbewertet sind. Umso bemerkenswerter die Tatsache, dass wir den Wettkampf ohne individuelle Niederlage überstanden, ja mehr noch, dass wir nur ein einziges halbes Pünktchen abgaben. 


Runde 2 wird eröffnet.


Der Spielverlauf war jedoch umkämpfter, als es das nackte Ergebnis vermuten ließ. Eva Moser am Spitzenbrett musste über die volle Distanz gehen, ihr großes Kämpferherz war es letztlich, das ihr in diesem Endspiel den Punkt brachte. 


Führte Österreich zum ersten Sieg: Eva Moser


Tina Kopinits driftete in eine horrende Zeitnot; um ein Haar hätte sie sich noch um die Früchte ihrer hervorragenden Arbeit gebracht, doch mit dem Glück der Tüchtigen gewann sie die Partie. Ein Traumstart für Julia Novkovic: Schon wieder gewonnen und wieder in ausgezeichnetem, reifem Positionsstil. Die zweite Glanzpartie, der zweite Punkt beim zweiten Einsatz in der Olympiamannschaft. Ehemann Milan wird wohl zuhause in Vorarlberg bereits mit einem Gläschen auf seine Julia angestoßen haben. Prost! (Liebe Grüße, Milan, und weiterhin fest die Daumen drücken…)

Kathi Newrlka hat auch angeschrieben. In einer scharfen Variante der sizilianischen Verteidigung wahrte sie geschickt das dynamische Gleichgewicht und erzwang eine Zugwiederholung, was ihr den ersten halben Olympiapunkt bescherte.

Fazit: Siege sowohl bei den Damen als auch bei den Herren bringen kostbare Mannschaftspunkte. Die kuriose Auslosung für heute Nachmittag: Beide Teams spielen gegen Sri Lanka. Zwar darf man keinen Gegner unterschätzen, doch es ist nicht vermessen zu sagen, dass ich hoffe, euch morgen von weiteren Siegen unserer Equipe berichten zu können-


Internationale Highlights

Blicken wir von den Partien der Österreicher hinaus zu anderen heißen Begegnungen am Schachbrett. Carlsen musste gegen Georg Meier ran und kam über ein Remis nicht hinaus. Die Nummer 1 des deutschen B-Teams hatte ja in der Auftaktrunde mit einem Sieg gegen Cheparinov für eine Überraschung gesorgt und sich in  der abendlichen Pressekonferenz recht erfreut darüber gezeigt, „dass sie Bulgarien bestrafen konnten, weil diese Topalov in vermeintlicher Unterschätzung zurückbehalten hätten.“

Der Kampf der beiden „unbekannteren“ Weltmeister versprach auch Spannung: Hier regierender Blitzweltmeister  Dominguez aus Kuba, dort EX-K.O. Weltmeister Kasimdzhanov aus Usbekistan. Überraschend, wie einfach der Usbeke in einer Drachenvariante seine scheinbar gefährdete Stellung absicherte und remis forcierte. Zum ersten Mal stiegen Wladimir Kramnik, Peter Leko und  Nigel Short in den Ring. Während der Short einen schönen Sieg gegen den starken Dänen Nielsen einfuhr  und Leko gegen Miezis gewann, musste sich Kramnik gegen den Polen Kamil Miton nach langem Kampf mit Einem Remis begnügen. Bei Bulgarien kommt Topalov weiterhin nicht zum Einsatz kommt. Schauen wir einmal, ob er sich heute gegen Nicaragua (Nummer 102 der Setzliste) ans Brett setzt.

Also, ich sage mal aller Voraussicht nach um 15.00 Uhr Computer einschalten, Chips herrichten und Daumen drücken bei Österreich gegen Sri Lanka!

„Lang lebe unser König!“


Fotogalerien und kommentierte Partien siehe:
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Website of the
Austrian Chess Federation


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