Olympia-Tagebuch 

SPECIAL


Schach-Olympiade Turin
21.05.-04.06.2006

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Tag 3


Das Olympia-Tagebuch von K.H. Schein
Tag 3
-  2. Runde



„Morgen beginnt die Olympiade!“ Diesen Satz hört man mittlerweile des Öfteren. Was hat es damit auf sich? Es lässt sich feststellen, dass die Organisatoren den logistischen Aufwand unterschätzt haben, den eine Sportveranstaltung dieser Größenordnung mit sich bringt. Beschwerden und Proteste von vielen Seiten erreichten das Organisationskommtee und so sah man sich genötigt, gestern um 22.00Uhr ein „captains meeting“ abzuhalten, um in einer Art Pressekonferenz die wichtigsten Anliegen der Delegationen zu diskutieren. Darüber darf ich euch in der Heimat einen kleinen Bericht übermitteln:

Einige Punkte, die bei den TeilnehmerInnen der Olympiade für Unmut sorgen, sind folgende:

Das Anstellen beim Essen ist eine nicht zumutbare Prozedur insbesondere für ältere Menschen. Wartezeiten von über 40 Minuten (3 mal täglich!) beim Anstellen in einer endlosen Schlange sind die Regel. In schöner Eintracht hört man den elolosen Schachspieler von den Seychellen ebenso klagen wie den 2600-er aus Usbekistan. Zwar hat es durchaus seinen Reiz, auf dem schier endlosen Weg zu Minestrone und Pasta zwischen Loek van Wely und Vallejo Pons (oder noch besser zwischen Kostenjuk und Stefanova!) eingeklemmt dem ständigen Summen einer babylonischen Sprachenvielfalt zu lauschen, doch man wird das Gefühl nicht los, seine Zeit etwas sinnvoller mit Partienvorbereitungen verbringen zu können. Wie mir Beat Züger mitgeteilt hat, verzichtet das Schweizer Team ( mit Korchnoj auf Brett 1) mittlerweile darauf, im olympischen Dorf zu essen und wählt die komfortablere, aber teurere Variante, indem es auf eigene Kosten in einem Restaurant irgendwo in der Stadt speist. Wenn diesem Beispiel noch etwa 50-70 Mannschaften folgen würden, wäre das Problem für die übrigen Teams gelöst…


Die Schlange reicht von GM Volkov bis GM Graf


Während einige schon was haben...


... haben andere weniger Glück.


Als Kompromiss wurde eine zweite Cateringstation im olympischen Dorf installiert und die Essenszeiten wurden verlängert. Auch wird das Organisationsteam und der Tross von Schiedsrichtern nun nicht mehr in den Stoßzeiten speisen. Für Spieler, die zum Essen auch ein Getränk bestellen, das extra zu bezahlen ist, wird nun ein spezieller Weg zum Anstellen eingerichtet, um auch so Wartezeiten zu verkürzen.

Ein persönlicher Tipp, um relativ rasch zum Essen zu gelangen: Frühstücken um 7 Uhr morgens und Abendessen ab 2215. Dann geht’s hurtig!

Als weiteres Anliegen der Delegationen stellte sich der Wunsch nach einem Shuttle-Service zur Spielhalle heraus. Knapp 30 Minuten Fußmarsch sind nicht jedermanns Sache. Vor allem nicht, wenn man sich knapp vorher bereits eine Dreiviertel-Stunde fürs Essen angestellt hat. Sollte es irgendwann heftig regnen, dürften sich da noch zusätzliche Probleme auftun.

Die Spielhalle werde ich in einem eigenen Bericht noch ausführlich vorstellen, vorläufig nur soviel: Es gibt den „blauen Bereich“, der ausschließlich für die in der entsprechenden Runde spielenden TeilnehmerInnen und ihren Kapitänen vorbehalten ist, dann wurde ein „roter Bereich“ eingerichtet, der zahlungswilligen Kiebitzen für 20€ pro Tageskarte vorbehalten ist und schließlich die Tribünen. Dort kann sich der Tagesgast für 5€ einen groben Überblick verschaffen. Da man die Ersatzspieler nicht in die rote Zone ließ und sie ebenfalls auf die Tribüne verbannte, mussten sich die Organisatoren beim Captains Meeting einiges anhören. Ab heute ist diese Regelung aufgehoben und Ersatzspieler dürfen sich in der roten Zone in unmittelbarer Nähe ihrer spielenden KollegInnen, nur getrennt durch eine Absperrung, aufhalten.


Blaue Zone für Spieler und rote Zone für Zuschauer.


In der ersten Runde waren auch noch keine Tafeln aufgestellt, anhand derer man die entsprechenden Mannschaftspaarungen ablesen konnte. Kiebitze wussten gar nicht (wenn sie die SpielerInnen nicht zufällig kannten), wer eigentlich gegen wen spielt!


In der 2. Runde spielt Österreich schon betafelt gegen Tajikistan


Wenn wir schon bei Gebäuden sind. Die Unterkünfte sind – wenn man es höflich formulieren möchte – eher spartanisch ausgestattet. Im Zimmer findet man ein Bett, einen Kasten und ein Nachtkästchen; das ist alles. Kein Stuhl, kein Tisch, schon gar nicht Toilette oder Dusche. Die befindet sich am Gang und man teilt sie sich im Schnitt mit 3-4 Kollegen. Wenn man sich alleine vorbereiten möchte, hat man die Wahl, Schachbrett oder Laptop aufs Nachtkästchen zu platzieren und götzendienstähnlich davor kniend zu arbeiten oder aber irgendwie zusammengekrümmt im Bette liegend die Vorbereitungsarbeit zu erledigen. Dass dies (nicht nur) Spielern wie Korchnoi, Shirov, oder Aronjan nicht gerade gefällt, ist nachvollziehbar. Dass sich die Zimmertüren nicht absperren lassen, stößt ebenfalls nicht auf breite Zustimmung.

Großer Andrang und eine gewisse „Goldgräberstimmung“ herrschen im „Internet-Cafe“. Wie seinerzeit beim legendären Goldrush in Kalifornien Mitte des 19. Jhdts. braucht man eine gelungene Mischung aus Glück ,Geduld und Aggressivität, um zu den Nuggets zu gelangen, sprich: um einen der ca. 20 mit dem Internet verbundenen Computer zu ergattern. Während sich die glücklichen Surfer vor den Bildschirmen mit einer Unzahl von Blitzpartien die Zeit vertreiben, warten pro Computer drei bis vier weniger Glückliche darauf, dass jemand den begehrten Platz freigibt. Wenn dies unverhofft tatsächlich eintrifft, erinnert die Situation urplötzlich irgendwie an das beliebte Kinderspiel Reise nach Rom: 4 Spieler kämpfen darum, wer sich als erster auf den einzigen freien Sitz wirft, drei scheiden aus…


Im Internetcafe herrscht reger Andrang.


Die Online Vorbereitung bringt hier die Endstellungen der Partien...


... der Österreicherinnen vom Vortag zum Vorschein.


Das Warten auf "die Reise nach Rom".


Riesenandrang herrscht allabendlich auch, wenn die Auslosung kommt, besser gesagt: wenn sie kommen sollte. Angekündigt für 23 Uhr, war sie um 1 Uhr in der Nacht noch nicht hier. Wie wir erfuhren, hatte man das Auslosungsteam in der riesengroßen Spielhalle vergessen und eingeschlossen. Endlich befreit, fand man auf dem riesigen Areal erst nach langem Suchen das einzige geöffnete Tor auf dem Weg ins olympische Dorf…


Die heiß ersehnten Paarungen sind da. Endlich.


Um zu meinem ersten Satz zurückzukommen: „Morgen beginn die Olympiade!“ Die Organisatoren beteuern mit Hochdruck und allerbesten Absichten an der Verbesserung der Zustände zu arbeiten – Bella Italia!

Zum Schachlichen:



15.00 - Runde 2


Damen:
Österreich - Tajikistan 3:0



Los geht´s

Was gibt es Schöneres für einen Kapitän als zu erleben wie die Partievorbereitung punktgenau aufs Brett kommt und man dem hochmotivierten Team nach dreieinhalb Stunden Spielzeit zu einem glatten 3:0 gratulieren darf? So geschehen gestern bei den Damen in der Begegnung Tajikistan-Österreich. Sonja spielte  einen grundsoliden c3-Sizilianer und drückte ihre Gegnerin von Beginn an in die Defensive. Ein Verzweiflungsopfer widerlegte sie mit einem giftigen Zwischenzug. 


Die ersten Züge.



Noch schaut Karl-Heinz Schein besorgt. Doch die Vorbereitung passt.


Tina war nicht böse, dass ihre Gegnerin der Sweschnikov-Variante im Sizilianer auswich, denn dadurch hatte sie als Nachziehende bereits nach wenigen Zügen die Initiative ergriffen. Nicht immer 100-prozentig korrekt, aber voll Elan ging sie auf den weißen König los. Schlussendlich fuhr die entnervte Gegnerin in eine Springergabel. Etwa zeitgleich gewann auch Maria ihre Auftaktpartie. Ein vergifteter Bauer war ihrer Gegnerin nicht gut bekommen.

Das heutige Duell gegen Serbien-Montenegro wird eine harte Nuss. Alle vier Spielerinnen der gegnerischen Mannschaft (auch die Ersatzfrau!) sind Großmeisterinnen oder haben Großmeisterinnenstärke. Es bedurfte nicht unbedingt der Warnungen von Aco Alvir, der die gegnerischen Spielerinnen genau kennt, um die Schwierigkeit der heutigen Aufgabe zu erkennen.


Herren:
Argentinien - Österreich  3,5:0,5

Spannend ging es auch bei den Herren zu. Argentinien war der Gegner: Martin Neubauer neutralisierte auf Brett 1 die leichte Initiative von GM Felgaer und leistete sich in einem vorteilhaften Turmendspiel gar den Luxus, ein Remisangebot abzulehnen. Leider überzog er schlussendlich die Stellung und musste eine bittere Niederlage kassieren. Herwig überraschte auf Brett 2 seinen großmeisterlichen Gegner mit einem Läuferopfer auf h6. Nach einem heftigen taktischen Scharmützel mündete die Partie in eine remisliche Stellung mit ungleichfarbigen Läufern. Remis! Bravo Herwig!


Erfolgreicher Angriff führt zur Zugwiederholung gegen einen 2500-er.



Neubauer und Alvir können ihre Chancen hingegen nicht nützen.


Auf Brett 3 wehrte sich Aco sehr lange, schlussendlich leider vergeblich gegen Pablo Ricardi. Hochmotiviert ging „Teamneuling“ Harald in die erste Olympiapartie seines Lebens. Vielleicht wollte er zu viel. Der angestrebte und erreichte Qualitätsgewinn wurde leider durch aktives Spiel des Gegners überkompensiert.


Der Debütant Harald Genser im kritischen Focus des Captains.


Nach den Fiji-Inseln in Runde 1 warten diesmal die Färöer-Inseln aufs rot-weiß-rote Team. Noch werden Witze über Hickersberger und das ÖFB-Team nur hinter vorgehaltener Hand erzählt, morgen wissen wir mehr…




Impressionen aus dem Turniersaal
Fotos: K.-H. Schein


























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